PIONIERE IN GRÜN

Grün ist auch in der Gastronomie zum Riesenthema geworden und zwar weltweit. Am Land stellen sich dabei andere Fragen als in urbanen Ballungsräumen. Wir haben drei der spannendsten Pioniere der Nachhaltigkeit besucht, in London, auf der Schwäbischen Alb und in Bangkok.

Text & Fotos: Jürgen Schmücking

Feuer und Rauch gehören dazu. Douglas McMaster in seiner offenen Küche.

Erste Station - London, Hackney Wick: das Silo

2014 öffnete das Silo seine Pforten in Brighton. Der Standort war sorgfältig gewählt. Die Südküste Englands gilt schon lange als ökofreundliches Terrain mit einer vitalen Bio-Szene. Douglas McMaster, der Mastermind hinter dem Silo, rannte in Brighton offene Türen ein. In den Folgejahren schärfte er seine Philosophie zu schärfen und begann damit, Netzwerke zu stricken.  Doch irgendwann wollte der Chef wieder zurück nach London. Dort, genauer gesagt im St. John’s Bread & Wine am Spitalfield Market, lernte er sein Handwerk.

« Imagine a world without waste. Zero waste is the future of food. »

Zero-Waste als Prinzip

2019 eröffnete er das Silo im hippen Londoner Viertel Hackney Wick. Im Lokal stehen 10 große, runde Tische und eine Bar, deren Oberfläche aus upgecyceltem Plastik gefertigt ist. Gläser werden aus Weinflaschen gefertigt, Teller aus Plastiksackerl. Jedes davon ein Unikat, und wenn Douglas gut drauf ist, zeigt er den Gästen seine Lieblingsstücke. Heute ist Douglas McMaster eine Koryphäe und unbestrittener Zampano in Sachen Zero Waste-Küche, und das Konzept greift tief. Beim Fleisch akzeptiert er nur wenig: ausgediente Milchkühe, invasive Arten und Roadkill. Also Tiere aus freier Wildbahn, die es nicht auf die andere Seite der Fahrbahn geschafft haben. Letzteres ist bei uns aus verschiedenen Gründen unvorstellbar, für McMaster wäre es jedoch absurd, diese Ressource nicht zu nutzen. Ein Label, das sein Handeln kontrolliert und bestätigt? Fehlanzeige. Er wurde auch ohne Gütesiegel zum Weltstar des sauberen Kochens.

Wurde auch Zeit. Bio-Koch Simon Tress hat einen Michelin-Stern. Und mit dem grünen gleich noch einen.

Zweite Station - Hayingen: Bio-Restaurant Rose

Die Rose ist viel mehr als nur ein Bio-Hotel. Die Familie Tress schreibt sich bereits seit 1950 „Biogenuss“ auf die Fahnen und gehört damit zu den absoluten Bio-Pionieren im deutschsprachigen Raum Dahinter steht ein stattlicher Familienbetrieb, bei dem vier Brüder und 50 Mitarbeiter anpacken. Gastronomisch bespielt werden Restaurants im Stammhaus sowie der Gasthof Friedrichshöhle bei der Wimsener Mühle. Simon Tress, der zweitälteste der vier Brüder hat in der Küche das Sagen. Wenn er nicht am Herd steht, schreibt er Bestseller oder steht vor der Kamera. Jetzt mehr denn je, denn erst kürzlich heimste Tress mit dem fine dining-Ableger seines Restaurants, dem 1500, gleich eine doppelte Sterne-Auszeichnung ein: einen roten und einen grünen Michelin Stern.

« Bio und Spitzenküche? Wo ist das Problem? Das machen wir seit einem dreiviertel Jahrhundert. »

Zertifiziert Bio oder Regional?

Auf eine offizielle Zertifizierung verzichten die Tress-Brüder bewusst, weil sie in vielen Bereichen wesentlich weiter gehen und ihre hohen Ansprüchen nicht durch ein Zertifikat, das auch viele andere haben, verwässern wollen. Das ist nicht ganz unproblematisch. Mit „besser als bio“ ist meistens „regional“ gemeint. Jetzt ist das mit dem Ausspielen des einen gegen das andere so eine Sache. Es funktioniert einfach nicht. Hinter der Biozertifizierung steht ein strenges Regime an Richtlinien und Vorschriften. Sie gelten für alle, die sich für eine bestimmte Produktionsweise entschieden, und sich diesem Regime unterworfen haben, indem sie einen Vertrag mit einer unabhängigen Kontrollstelle unterschrieben haben. In Österreich sind das verschiedene Unternehmen, deren relevante Gemeinsamkeit ist, dass sie vom IFOAM, einem weltweiten Bio-Dachverband, akkreditiert und ermächtigt sind, zu kontrollieren. Die Einhaltung der Richtlinien wird laufend kontrolliert, Verstöße abhängig von Art und Schwere reklamiert und geahndet. Das ist bio. 

Und regional? Hier gibt es kein verbindliches Regulativ, keine gemeinsame Sprache, keine Kontrolle, keine Konsequenzen. Wenn ein Betrieb im Burgenland entscheidet, die Herkunft „Österreich“ ist regional genug, wird der Vorarlberger Bergkäse zum regionalen Produkt. Das ist er natürlich auch – in Vorarlberg. Wenn Gastronomen auf Regionalität setzen und diese auch glaubhaft vermarkten – wir denken da an den Floh aus Langenlebarn mit seinem Radius 66 – ist das natürlich zu begrüßen. Gleichzeitig sollten wir aber auch wissen: Kontrolliert wird dieser Anspruch nicht.

Vertrauen ist gut …

Was Bio bei Lebensmitteln bedeutet, wissen wir mittlerweile. Doch wie schaut das in der Gastronomie aus? Hier herrscht Handlungsbedarf. Mehr noch. Aufklärungsbedarf. Und zwar nicht nur bei den Konsumenten, sondern (und vor allem) bei Entscheidungsträgern. In der Biolandwirtschaft ist fast jeder Bereich der Produktion erfasst und reglementiert. Die Landwirtschaft sowieso, aber auch gewerbliche Manufakturen, Produzenten, sogar der Handel mit Biolebensmittel fällt unter die Zertifzierungspflicht. Und die Gastronomie? Hier sind der Trittbrettfahrerei und Grünwäscherei Tür und Tor geöffnet. Sobald ein paar Bio-Produkte in den Töpfen landen, wird auf die Karte oder zum Gerichtgroß „Bio“ geschrieben. Eine Randerscheinung? Mitnichten. Michaela Russmann, die Obfrau des Vereins der Biowirtinnen meint, dass über 1.300 Betriebe mit der einen oder anderen Bio-Kennzeichnung auf Speisekarten werben. 850 davon haben einen – freiwilligen – Vertrag mit einer Bio-Kontrollstelle und lassen sich regelmäßig überprüfen.
Die Beete im HAŌMA dienen der Gästeinformation. Die Kräuter und das Gemüse kommen aus einer Farm am Land.

Dritte Station - Bangkok: HAŌMA

Die Kulinarik- und Gastro-Szene in Thailands Hauptstadt boomt. Noble Restaurants, vielfältiges Streetfood an allen Ecken und Restaurants aus aller Herren Länder. Mittendrin in diesem vitalen Geschehen ist Deepanker ‘DK’ Khosla’s HAŌMA. Neo-indisches Fine Dining vom Feinsten. Bekannt ist der Koch aber vor allem wegen seines ökologischen Ansatzes. Immerhin ziert sein Restaurant nicht nur ein grüner Michelin-Stern, es wurde auch von der Asia’s 50 Best-Liste 2024 mit dem “Sustainable Restaurant Award 2024” ausgezeichnet. Warum das Ganze? Eine erste Idee von der Philosophie Deepankers bekommt man, wenn man sein Restaurant betritt. Der Weg führt durch eine Allee an Pflanzen, die nicht zu Dekoration aufgestellt sind, sondern informieren wollen. Über das Saatgut, die Pflanze selbst. Ihre Botanik und ihre Eigenschaften. Es ist allerdings „nur“ Infotainment, denn die eigentlichen Pflanzen, die im HAŌMA verwendet werden, wachsen auf einer eigenen Farm, die eine Autostunde von Bangkok entfernt liegt. „Zumindest einmal pro Woche bin ich selbst vor Ort, weil ich es wichtig finde, dass Köche einen unmittelbaren Bezug zum Boden haben. Wenn man sich ausschließlich in der Großstadt bewegt und die Lebensmittel am Großmarkt kauft, bleibt das Thema Ökologie eine theoretische Sache“, meint Deepanker. Aus seinem „grünen Bewusstein“ heraus entwickelt der indische Spitzenkoch zahlreiche Initiativen, die weit über sein Restaurant hinaus gehen. Gemeinsam mit einer Bürgerinitiative hat er sich für ein Verbot der allgegenwärtigen Plastiksackerl engagiert, das schlussendlich auch erfolgreich war. „Es geht mir nicht darum, den grünen Michelin-Stern für eigene Marketing-Zwecke zu verwenden, sondern in allen Lebensbereichen zu einer grünen Wende beizutragen. Als Unternehmer hat man einen größeren Hebel, aber damit will ich mich nicht zufrieden geben“, erzählt uns Deepanker nach einem köstlichen Essen in seinem Restaurant.

"... und sprich darüber."

Als Gastronom kann man sich dem Thema Nachhaltigkeit von verschiedenen Seiten nähern. Die einen – die meisten – tun es, in dem sie sich für regionale Lebensmittel und Zutaten entscheiden. Das ist grundsätzlich ein guter und schlüssiger Zugang. Das Problem dabei ist nur: jeder versteht etwas anderes darunter.Nachdem es keine einheitliche Definition gibt, gibt es auch keine Richtlinien. Ohne Richtlinien keine Kontrolle und ohne Kontrolle kein Gütesiegel oder Logo. Also geht es darum, die Geschichte  spannend, ordentlich und nachvollziehbar zu erzählen. Josef Floh macht das mit engen Radius, Norbert Niederkofler in Bruneck mit dem – recht radikalen – Konzept „Cook the Mountain“. Ein anderer Zugang ist die Bio-Zertifizierung. Dass das funktioniert haben Markengemeinschaften wie die BioHotels oder die Bio-Wirtinnen längst bewiesen. Die nachhaltigkeitsspezifischen Auszeichnungen von Restaurantguides und andere Initiativen sind ebenfalls nicht zu unterschätzen. Michelins Grüner Stern wurde 2020 erstmals vergeben. Trotz anfänglicher Kritik über mangelnde Kontrolle und undurchschaubare Entscheidungskriterien hat der “Clover” (eigentlich ist es nämlich kein Stern, sondern ein grünes Kleeblatt) eine immense Strahlkraft – vor allem beim jüngeren Publikum. Gault&Millau pickt sich jährlich einen Leitbetrieb heraus und stellt die Verantwortlichen für ihre Leistungen im wahren Wortsinn auf die Bühne und mit der Initiative ‘Gaumenhoch’ ist ein neuer, recht vielversprechender Player am Start, der ebenfalls in diese Richtung zielt. Im internationalen Vergleich steht die heimische Gastronomie sehr gut dar, was nicht zuletzt am der kleinteilig strukturierten Landwirtschaft mit ihrem vergleichsweise hohen Anteil an Bio-Bauern liegt. Es sind nicht nur Spitzenköche von Paul Ivic über Alain Weißgerber bis zu Andreas Döllerer und Heinz Reitbauer, die sich seit Jahren mit „grünen“ Konzepten aufhorchen lassen (und eigentlich allesamt einen grünen Michelin-Stern verdienen würden). Auch am Land gibt es immer mehr „einfache“ Betriebe, die sehr erfolgrfeich mit grünem Herzblut geführt werden.
Shabby Chic, innen wie außen. Und sogar das Geschirr ist recycelt.

« Wenn man mit den Produkten, die es am Markt gibt, nicht arbeiten will, hilft nur eines. Selbst anbauen, selbst züchten. Eben Landwirt werden. »

Die Zutaten kommen aus Thailand, aber die DNA in Deepankers Menü ist indisch bis in die letzte Pore.
Gaumen hoch! Diese neue Initiative fördert die Zusammenarbeit ambitionierter Produzenten und Köche.

lesen & staunen

WIE SCHMECKT DER WEISSENSEE?

Wie man Nachhaltigkeit in der Gastronomie tatsächlich leben kann, wird in diesem wunderbar illustrierten Buch von Hannes Müller, der als Hotelier und gleichzeitig auch als 4-Haubenkoch in der „Forelle“ am Weißensee ganzjährig Gäste verwöhnt, eindrucksvoll geschildert. Für die textliche Gestaltung war Tobias Müller verantwortlich, der auch zahlreiche Gastautoren vor den Vorhang bittet. Fotografiert hat Inge Prader.

Das Buch ist in ausgesuchten Buchhandlungen erhältlich. Man kann es auch um 49.- € direkt im Hotel bestellen.