EIN FRÖHLICHER TANZ AUF DEM VULKAN

Sahir Erozan ist ein großzügiger Gastgeber und feinsinniger Lebemensch zugleich. Mit seinem Luxushotel Maça Kizi in Bodrum hat er auch unternehmerischen Weitblick bewiesen. Voller Lebensfreude blickt er in die Zukunft, obwohl er diese ziemlich düster sieht.

Text: Wolfgang Schedelberger

Casual Fine Dining unter freien Himmel mit Blick auf die Bucht Türkbükü.

Die Pik Dame sieht man in der weitläufigen Hotellandschaft des Maca Kizi überall. Das war der Spitzname von Sahirs Mutter, die in den 1970er Jahren, als Bodrum noch ein beschauliches Fischerdorf war, hier ein kunstsinniges Bed & Breakfast geführt hat. Auch wenn sie Künstler wie Mick Jagger oder Rudolf Nurejew zu Gast hatte, war Bodrum damals alles andere als ein bekannter Tourismus-Hotspot. Rund um den Hafen gab es eine Hauptstraße mit ein paar belebten Seitengassen. Dahinter sah man schon Schafe und Ziegen auf der Weide. Neidvoll hatten damals viele Einheimische übers Meer auf die nur wenige Kilometer entfernte griechische Ferieninsel Kos geblickt, wo es bereits eine gut entwickelte Tourismus-Industrie gab.

Heute stellt sich die Lage gänzlich anders dar. Während Kos (so wie die ‚türkische Riviera‘ zwischen Marmaris und Antalya) jeden Sommer vom hunderttausenden Pauschaltouristen gestürmt wird, hat sich Bodrum zu einem noblen Urlaubsort für ein gehobenes Publikum entwickelt. Viele wohlhabende Türken aus Istanbul haben sich auf der ganzen Halbinsel, die den südwestlichsten Zipfel der Türkei darstellt, Sommerresidenzen errichten lassen. Schicke Restaurants und Nachtclubs lassen Besucher vergessen, dass sie sich eigentlich in einem islamischen Land befinden. Auf der nördlichen Seite der Halbinsel, die rund 20 Autominuten von der Altstadt entfernt ist, haben sich internationale Luxushotels wie Ritz-Carlton, Mandarin Oriental und Bulgari niedergelassen. Dort befindet sich auch das elegante Maça Kizi, das Sahir Erozan bereits in den späten 1990er Jahren errichten ließ. Damals war es das einzige Luxushotel weit und breit.

Haben Sie die unglaublich starke Entwicklung von Bodrum vorhergesehen, als sie in den 1990er Jahren mit dem Bau des Hotels begonnen haben, oder haben Sie einfach nur großes Glück gehabt?

Ich habe das Glück gehabt, dass ich Bodrum seit meiner Kindheit kenne, weil meine Mutter von hier stammt und sie im Sommer ein unglaublich stimmungsvolles Bed & Breakfast geführt hat. Ich war jeden Sommer hier und habe die zahlreichen Künstler bestaunt, die bei uns abgestiegen sind. Dann bin ich für 20 Jahre in die USA gegangen und habe dort als Gastronom gearbeitet. Als ich meinen Lebensmittelpunkt wieder nach Istanbul verlegt habe, hat sich meine Liebe zu Bodrum aufs Neue entfacht. Der Boom hatte gerade angefangen, die Grundstückspreise waren noch relativ günstig. Dass die Entwicklung derart rasant vor sich geht, war nicht vorhersehbar, aber große Sorgen haben ich mir um dieses Investment eigentlich nie gemacht. Seit über 20 Jahren verbringe ich jeden Sommer hier. Es ist ein einfach ein zauberhafter Ort.

Die Lage ist wirklich wunderschön. Noch mehr beeindruckt mich aber die geschmackvolle Gestaltung der Anlage, sowohl im Kleinen wie im Großen. Für Sie ist das Hotel mehr als nur ein Investment?

Ich wohne hier von April bis November. Das Maça Kizi ist mein Zuhause. Ich bin zwar kein Pedant, aber sehr detailverliebt. Jeder Baum, jeder Tisch, jede Skulptur hat eine eigene Geschichte. Als wir angefangen haben, gab es weder WIFI noch TV-Geräte auf den Zimmern. Wir haben das Angebot im Laufe der Jahre an die Erwartungshaltung der Gäste angepasst.  Wenn man mit dem Boot kommt, sieht man unsere Anlage fast nicht, weil sie sich an die Landschaft anpasst und voller Pflanzen ist. Leider gilt das nicht für alle Luxushotels in dieser Gegend, weil zumeist kommerzielle Interessen im Vordergrund stehen, was ja irgendwie auch verständlich ist. Nicht alle neue Anlagen sind schön anzusehen. Das sind die Schattensein der rasanten Entwicklung. 

« 20 Jahre USA waren mehr als genug. »

Kunst und Kulinarik sind zwei Aspekte, die im Maça Kizi eine besondere Rolle spielen. Spiegelt das Ihre persönlichen Vorlieben wider?

Allerdings. Seit meiner Jugend beschäftige ich mich intensiv mit zeitgenössischer Kunst, auch wenn ich sie nicht immer verstanden habe. Jean-Michel Basquiat war ein außergewöhnlicher Mensch, aber dass seine Arbeiten tatsächlich von bleibendem Wert sein würden, hat damals niemand geahnt – ich auch nicht, obwohl er regelmäßig bei mir zu Gast war. Natürlich sind einige Werke, die ich im Laufe der Jahre erworben habe, im Wert gestiegen, aber das verfolge ich nicht wirklich. Ich bin ein leidenschaftlicher Sammler und kein Händler. Trotzdem interessiert mich der Kunstmarkt sehr. Auf meinen Parties rund um die Art Basel oder bei der Biennale in Venedig treffen sich Galeristen und Investoren mit den ausstellenden Künstlern, was für beide Seiten vorteilhaft ist. Das hoffe ich mich dem Festival MedBodrum jetzt auch hier zu etablieren.

Und die Kulinarik? Das Maça Kizi wurde vor kurzem sogar mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet …

Ich sage manchmal scherzhaft, dass wir eigentlich ein Restaurant mit Zimmern betreiben. Ich habe in Washington DC 20 Jahre lang sehr erfolgreich ein Restaurant samt Club geführt. Ich liebe die Rolle des Gastgebers, und versuche stets, den passenden Rahmen zu schaffen, damit sich Gäste bei mir wohl fühlen. Wenn gelacht und getanzt wird, habe auch ich meinen Spaß. Der Michelin-Stern war vor allem für unseren Küchenchef Aret Sahakyan wichtig, weil es eine objektive Anerkennung für seine Arbeit ist. Gleichzeitig ist mir eine gute Stimmung im Lokal mindestens genauso wichtig, wie die Qualität des Essens. Ich esse fast jeden Tag im Hotel und bin der schärfste Kritiker, wenn einmal etwas nicht passen sollte.

Auch im Hochsommer gleicht das Hotel einer erfrischenden Grünoase.

Woher kommen Ihre Gäste? An der Südküste sind es vor allem Pauschaltouristen aus Europa, die für volle Betten sorgen, aber für diese Gästeschicht sind Luxushotels wie das Maça Kizi wohl viel zu teuer, oder?

Im Sommer ist Bodrum ist vor allem von wohlhabenden Türken bevölkert. Manche haben hier eigene Ferienhäuser oder Apartments und bleiben mehrere Wochen. Andere kommen nur über ein verlängertes Wochenende und steigen dann gerne in einem luxuriösen Hotel ab. Wir sind da irgendwie die Ausnahme, weil wir mehr als 70 Prozent internationale Gäste haben, viele davon aus den USA. Auch der Anteil an Stammgästen, die jedes Jahr zu uns kommen, ist überdurchschnittlich hoch. Das hat wohl in erster Linie mit meiner eigenen Vergangenheit zu tun.

« Bodrum hat eine lange Tradition als Treffpunkt der Künstler. »

Also stimmt der Vergleich mit St. Tropez, den die New York Times vor ein paar Jahren gebracht hat …

Fast jeder Vergleich hinkt, obwohl solche Presseberichte für uns natürlich sehr hilfreich sind. So bekannt ist Bodrum international ja noch nicht.  Auch wenn die vielen Luxusyachten, die hier im Sommer vor Anker liegen, den Eindruck vermitteln, als wären wir ein Hotspot für Superreiche, ist das nur die halbe Wahrheit. Mittlerweile leben in den Sommermonaten viele ‚normale‘ Menschen in Bodrum, die dem Chaos von Istanbul entfliehen wollen. Was mich besonders freut: Wir haben eine sehr lebendige Community an jungen Künstlern, die abseits der Tourismusindustrie blüht. Wer Lust auf tolle Restaurants und Nightlife hat, fährt am Abend in die Altstadt, aber schon ein bisschen außerhalb findet man nach wie vor idyllische Flecken.

Ich war vor über 30 Jahren das erste Mal in Bodrum. Als ich jetzt wieder gekommen bin, habe meinen Augen nicht getraut. Es ist beeindruckend zu sehen, welchen wirtschaftlichen Aufschwung die gesamte Region genommen hat, gleichzeitig ist viel vom Charme vergangener Tage verloren gegangen. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Leben bedeutet Veränderung. Im Großen und Ganzen wird das Wachstum von den meisten Einheimischen sehr positiv gesehen. Einfache Bauern, die vor 30 Jahren ein paar Hügel zum Weiden der Schafe besessen haben, sind heute Millionäre. Der Lebensstandard ist insgesamt deutlich gestiegen, wovon alle profitieren. Ich bin früher mit meinem Boot gerne nach Mykonos gefahren, weil mir die lässige Stimmung auf der Insel so gut gefallen hat. Jetzt gibt es dort überall schicke Restaurants, noble Beachclubs und hunderte neue Hotels. Das ist toll für Mykonos, aber ich fühle mich dort nicht mehr so wohl. Gleich gegenüber von Bodrum liegen ein paar kleinere griechische Inseln wie Patmos oder Leros, wo die Zeit scheinbar stehen geblieben ist. Von der Ferne betrachtet, schaut es dort wunderschön aus, aber viele Dörfer sind ausgestorben. Ist das besser? Ich weiß es nicht. Jedenfalls kommen heute die jungen Leute von diesen Inseln im Sommer zu uns, weil es hier Arbeit gibt und dort nicht.

Die Zukunft erscheint Ihnen also rosig – trotz der düsteren Prognosen zur Erderwärmung …

Überhaupt nicht. Wir sind dabei, unseren Planeten unbewohnbar zu machen. Ich weiß nicht, wie lange die Menschheit mit dieser Form des Wirtschaftens noch überleben wird. Ich mache mir da keine allzu großen Hoffnungen, weil diese Probleme nur mit einem gemeinsamen Handeln aller Länder sinnvoll angegangen werden kann und das sehe ich nicht kommen. Statt miteinander für eine bessere Zukunft zu arbeiten, wird wieder Krieg geführt. Das führt bei mir allerdings nicht zu Fatalismus. Jeder soll tun, was er kann. Wir haben großflächig PV-Anlagen installiert, säubern das Wasser in unserer Bucht, versuchen invasive Fischarten als Speisefische zu vermarkten und vieles andere mehr. Ich bin mir meiner Verantwortung als Unternehmer bewusst, nur wird das nicht viel am Weltklima ändern.

Aber wenn die Temperaturen weiter steigen, wird man im Sommer wohl kaum mehr in der Türkei Urlaub machen wollen. Trotzdem investieren Sie fröhlich weiter?

Tatsächlich glaube ich nicht, dass es diese Form des klassischen Sommerurlaubs Tourismus bei uns noch lange geben wird. Es wird zu Saisonverschiebungen kommen. Vielleicht werden wir in 20 Jahren von September bis Juni offen haben und im Hochsommer zusperren? Wer weiß das schon.

WIRT UND KUNSTSAMMLER

«Ich führe mein Hotel Maça Kizi im Sinne meiner Mutter. »

Sahir Erozan stammt aus einer alten türkischen Familie, die zahlreiche prominente Persönlichkeiten hervorgebracht hat. Vor allem als Diplomaten und Wissenschaftler haben sich haben sich verschiedene Familienmitglieder über mehrere Generationen hinweg einen Namen gemacht. Insofern sieht sich Sahir als schwarzes Schaf der Familie. Statt einen Abschluss an der berühmten Universität Georgetown in Washington zu machen und eine akademische Karriere zu starten, jobbte er zunächst als Kellner und eröffnete mit der Hilfe von Freunden ein kleines Lokal. 

Mit sehr viel Glück schaffte er es, professionell in die Gastronomie einzusteigen. Das erste richtige Restaurant hatte auch einen angeschlossenen Club, der sich zum Treffpunkt der Society mauserte. Seit damals kennt Sahir viele Größen der US-Politik persönlich. Zum Freundeskreis zählten auch zahlreiche junge Künstler, die er so gut es ging auch unterstützte. Kunstwerk statt Bargeld war ein Deal, der für beide Seiten attraktiv schien. Obwohl noch keine 25 Jahre alt, war Sahir bereits stadtbekannt.

Das Spannungsfeld zwischen seinen beiden Leidenschaft Kunst und Kulinarik bestimmte Sahirs weiteren Lebensweg. Er begann regelmäßig die Kunstmessen in Basel und Miami sowie die Biennale in Venedig zu besuchen. Irgendwann kam ihm die Idee, vor Ort auch Parties zu organisieren, die bald in aller Munde waren.

Sahir kam immer öfter nach Europa, die Aufenthalte wurden immer länger. Vor allem im Sommer blieb er oft Wochen lang in Bodrum, wo seine Mutter immer noch das kleine Maça Kizi Hotel führte. Mitte der 1990er Jahre verkaufte er seine gut gehenden Lokale in Washington und übersiedelte nach Istanbul. Gleichzeitig begann er mit dem Bau eines Maça Kizi Hotels in der kleinen Ortschaft Turkbuku, das 15 Minuten nördlich von Bodrum liegt.

Schritt für Schritt hat Sahir seither das in einer weitläufigen Gartenanlage gelegene Ressort zu einer geschmackvollen Luxusoase entwickelt, die ganz ohne Prunk und Protz auskommt und lieber mit geschmackvoller Architektur und interessanten Kunstwerken überzeugt. Nach der Pandemie eröffnete er auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht eine luxuriöse Villa mit 16 Suiten, die mit der hoteleigenen Motoryacht in zehn Minuten erreichbar ist.

Im Mai 2024 hat Sahir erstmals das Kunstfestival MedBodrum veranstaltet, zu dem neben bildenden Künstlern, Musikern und DJs auch Gastköche aus aller Welt geladen waren.

EINE LANGE GESCHICHTE

Als Bodrum noch Halikarnassos hieß, war es eine richtige Metropole. Hier lebte einst (377-353 AD) ein reicher König namens Mausolos, der sich ein Andenken für die Ewigkeit schaffen wollte. Schon zu Lebzeiten begann er mit dem Bau eines Grabmals, das derart imposant war, dass es als eines der sieben Weltwunder der Antike bezeichnet wurde. Das Grabmal wurde später durch ein Erdbeben zerstört, aber der Name blieb: noch heute bezeichnen wir in allen europäischen Sprachen imposante Grabbauten als Mausoleen. Zur gleichen Zeit lebte hier der griechische Geschichtsschreiber Herodot – auch ein Name, den man bis heute kennt. 

Es war die strategische Lage zwischen dem östlichen Mittelmeer und der Ägäis, die Halikarnassos so bedeutend machte. So errichteten hier die Johanniter während der Kreuzzüge eine mächtige Festung. Nach dem Rückzug der Johanniter von Rhodos fiel die Burg den Osmanen im Jahr 1523 kampflos in die Hände. Weil sie das gesamte östliche Mittelmeer beherrschten, verlor Halikarnassos, das fortan Bodrum genannt wurde, seine einstige Bedeutung. Bis zur Jahrtausendwende fristete es eine armselige Existenz als Fischerdorf.

Dorthin wurde in den 1950er Jahren der oppositionelle Bildhauer und Schriftsteller Cerat Sakir von der türkischen Regierung verbannt. In den folgenden Jahren folgten ihm zahlreiche befreundete Künstler nach, wodurch Bodrum zumindest in intellektuellen Kreisen bekannt wurde. Ab den 1990er Jahren begann die touristische Entwicklung, der gesamten Region, wobei die Altstadt von Bodrum selbst aufgrund von strikten Baubeschränkungen erhalten wurde.