ALLE JAHRE WIEDER

Der Klimawandel zeigt auch in der Champagne bedrohliche Folgen. Steigende Durchschnittstemperaturen sind selbst im nördlichsten Weinbaugebiet Frankreichs ein Problem. Die Winzer reagieren mit vielerlei Maßnahmen darauf.

Text: Wolfgang Schedelberger; Fotos: Jürgen Schmücking

Mehr Biodiversität in den Weingärten zu bringen, ist das große Ziel bei Ruinart.

Dass es in Südfrankreich noch heißer wird, sei nur ein schwacher Trost, erklärt Jean-Baptiste Terlay, Önologe bei Dom Pérignon, bei unserem Besuch im Juni 2024. Im aktuellen Jahr war es bislang sogar zu kühl und viel zu nass. Wir lernen einmal mehr: Wetter und Klima sind zwei verschiedene Dinge. Die langfristige Tendenz sei jedoch eindeutig – es wird immer wärmer, der Erntezeitpunkt erfolgt daher immer früher. Zwar hat man bei Dom Pérignon, wo man seit über hundert Jahren ausschließlich Jahrgangs-Champagner keltert, gelernt, die Volten jedes Jahres zu bändigen. Doch die Herausforderungen haben sich geändert. Bis zur Jahrtausendwende hat man stets auf ausreichend Sonnenschein gehofft, damit die Trauben voll ausreifen. Jetzt ist zumeist das Gegenteil der Fall. 

Terlay, der sein Handwerk in Südfrankreich gelernt hatte, arbeitet seit 2001 in der Champagne und hat im Jahr 2003 den ersten richtigen Hitzesommer des neuen Jahrtausends hautnah miterlebt. Statt wie üblich im Oktober wurde bereits Ende August geerntet. Umso spannender war es daher, parallel zu seinen Schilderungen beim gemeinsamen Tasting diesen Jahrgang in der extralang gereiften „Plénitude“-Abfüllung zu verkosten. Wenn man einen derart großartigen Champagner aus einem Hitzejahr im Glas hat, ist man verlockt, den Klimawandel zumindest für diese Weinbauregion als vernachlässigbares Problem zu betrachten. Dem gegenüber stehen zahlreiche Fachartikel, die das Ende des Champagners mit düsteren Prognosen vorzeichnen. 

Langfristige Perspektive wichtig

„Champagner wird es wohl auch noch in hundert Jahren geben. Aber wir müssen jetzt reagieren, wenn wir auch weiterhin außergewöhnliche Qualitäten herstellen wollen, die weltweit gefragt sind. Zunächst gilt dies vor allem die Arbeit im Weingarten, besonders bei Neupflanzungen. Früher gab es nie Probleme mit der physiologischen Reife, die Säurewerte waren tendenziell eher zu hoch. Heute ist das umgekehrt“, erklärt Terlay. So lange sich solche Veränderungen in einem überschaubaren Rahmen bewegen, gibt es genug Möglichkeiten mit Kellertechnik gegenzusteuern. So könnte man in Zukunft auf den biologischen Säureabbau verzichten, der bei fast allen großen Häusern State-of-Art ist. Auch eine schrittweise Verringerung der Dosage kann dabei helfen, die sensorische Frische im Glas zu erhalten. 

Biodynamische Bewirtschaftung schwierig

In der Champange wird intensiver Weinbau betrieben. Für die mehr als 16.000 Winzer ist es überlebenswichtig, Jahr für Jahr zufriedenstellende Mengen zu ernten. Eine biologische Bewirtschaftung der Weingärten ist für die allermeisten Winzer nach wie vor unvorstellbar. Größere Champagnerhäuser wie etwa Ruinart, die zumindest einen Teil der Grundweine aus eigenen Weingärten beziehen, beschäftigen sich sehr aktiv mit der Neuausrichtung ihrer eigenen Rebflächen. Mit der Pflanzung von Alleen zwischen einzelnen Weingärten soll ein kühleres Mikroklima geschaffen werden. Außerdem bemüht man sich, für mehr Biodiversität zu sorgen, wozu auch eine aktive Förderung nützlicher Insekten gehört. Eine biodynamische Bewirtschaftung mit Zertifizierung scheint aus heutiger Sicht undenkbar, die Verwendung von chemischen Pflanzenschutzmitteln soll jedoch deutlich zurückgefahren und, wenn immer möglich, gänzlich vermieden werden.          

Auch bei Ruinart ergab sich die Möglichkeit, nach einem Spaziergang durch die Weingärten die Zukunft der Champagne bei einer exklusiven Verkostung zu besprechen. Um sich der Frage zu nähern, wie sich wärmere Temperaturen und frühere Lesezeitpunkte auf die Qualität des Champagners auswirken, macht es Sinn, Vintages zu verkosten, die im Gegensatz zu den regulären Bruts tatsächlich den Verlauf eines einzigen Jahrgangs darstellen. Erstmals hat Ruinart mit dem Blanc Singulier Édition 18 auch so etwas wie einen „normalen“ Jahrgangschampagner gekeltert. Ein Privileg, das bisher nur der exklusiven Prestige-Edition Dom Ruinart vorbehalten war.

Das Ziel: Frische trotz Hitze

„A singular expression of Chardonnay revealed by a changing climate” hat Kellermeister Frédéric Panaïotis die Philosophie, die hinter der neuen Ruinart-Edition „Singulier“ aufs Rücketikett schreiben lassen. 2018 war – wie fast alle Jahre in der jüngeren Vergangenheit ein sehr warmes Jahr mit früher Ernte im August. Das zeigt sich in einem ausgeprägtem Aromenspiel, der alle Nuancen eines typischen Chardonnays hervorbringt. Die Frische wird durch den Verzicht auf jegliche Dosage erreicht – ein Novum für das Haus Ruinart. Damit sich der Schaumwein trotz seiner (relativen) Jugend rund um harmonisch präsentiert, wurden ihm 20 Prozent Reserve-Weine aus älteren Jahrgängen beigegeben. Es handelt sich daher um keinen lupenreinen Vintage, sondern mehr um eine Studie in Sachen Chardonnay mit einem Jahrgangsschwerpunkt. Der aktuelle Dom Ruinart 2010 zeigte sich mit großer Komplexität, Frische und großer Länge. Auch dieser wurde in einem sehr warmen Jahr gekeltert und zeigt sich absolut überzeugend. Mit vier Gramm fiel die Dosage sehr dezent aus.

Auch in der noblen Maison Krug konnten wir uns davon überzeugen, dass warme Jahrgänge nicht zu spannungsarmen Schaumweinen führen müssen. Nur einmal wurde in den vergangenen 200 Jahren noch früher gelesen als 2011. Publikationen wie etwa Wine Specator haben den Jahrgang daher rasch als klein abgeschrieben. Verkostet man heute den Krug Vintage 2011 kann davon keine Rede sein. Er präsentiert sich ähnlich komplex und harmonisch wie die Edition 167, die ebenfalls zum Großteil auf diesem Jahrgang beruht. Weil bei einem Jahrgangs-Champagner auf die Beigabe von Reserveweinen verzichtet werden muss (bei der Edition 167 immerhin mehr als 40 %) zeigt sich der Krug Vintage 2011 noch eine Spur frischer.

Gut gerüstet trotz Sommerhitze

Der Klimawandel betrifft sämtliche Weinbauregionen der Welt mehr oder weniger. Nördlich gelegene Gebiete wie die Champagne, die in der Vergangenheit eher ein Problem mit dem Ausreifen der Trauben hatten, sind von steigenden Temperaturen weniger stark betroffen, als südliche Gebiete. Das bedeutet nicht, dass man hier den Klimawandel auf die leichte Schulter nimmt. Viele Produzenten engagieren sich auf unterschiedliche Art und Weise, im Großen wie im Kleinen. Klar ist, dass Maßnahmen im Weingarten genauso notwendig sind, wie im Keller. Aufgrund ihrer riesigen Vorräte an Reserveweinen sind große Häuser im Vorteil gegenüber kleineren Produzenten, um extreme Jahrgänge auszugleichen.  Schaumweine kann man auf der ganzen Welt keltern, auch aus anderen Rebsorten und in immer nördlicheren Regionen, wie man seit rund zwanzig Jahren etwa in England sieht. 

Trotzdem ist und bleibt Champagner ein einzigartiges Produkt und hat ein Image, das weltweit gefragt ist. Daran wird sich auf absehbare Zeit nichts ändern.  

Verkostungen mit mehreren Jahrgängen ist gerade bei Premium reizvoll

MÄRKTE UND JAHRGÄNGE

Der weltweite Erfolg des Champagners hat auch damit zu tun, dass die Produzenten trotz aller Konkurrenz und unterschiedlicher Interessenslagen eng zusammenarbeiten. So werden jedes Jahr im Juli die Maximalerträge pro Hektar festgelegt, was weniger mit dem aktuellen Wetterverlauf, sondern mehr mit der Absatzentwicklung zu tun hat. Mit 10.000 Kilo pro Hektar statt wie im Vorjahr 11.400 Kilo hat das Comité Champagne ein deutliches Zeichen gesetzt. Im Durchschnitt der letzten 20 Jahre lag der Wert bei 12.000 Kilo pro Hektar. Im Comité sind die rund 16.000 unabhängigen Weinbauern genauso vertreten, wie die Kellereien. Während sich die Kellereien strenge Mengenbeschränkungen wünschen, wenn die Lager voll sind, wollen die Winzer möglichst wenig Restriktionen. Schlussendlich profitieren jedoch beide Seiten langfristig davon, wenn man Nachfrage und Preise stabil halten kann.  

Der Glanz der großen Häuser überdeckt mitunter die Schwierigkeiten der zahlreichen kleineren Kellereien. Während die Nachfrage nach Prestige-Marken wie Ruinart, Krug und Dom Pérignon weiterhin hoch ist und die Preise Jahr für Jahr steigen, unterliegt der Gesamtmarkt mitunter schmerzhaften Schwankungen. Auch günstige Champagner werden in Exportmärkten als Luxusprodukt vermarktet. So hat die Finanzkrise 2008 die Nachfrage deutlich gedämpft. Auch das Pandemiejahr 2020 mit den weltweit verordneten Schließungen der Gastronomie hat den Export deutlich verringert. Damals hat das Comité übrigens mit der bislang einzigartigen Ertrags-Beschränkung auf 8.000 Kilo pro Hektar reagiert. 

In den letzten drei Jahren hat sich der Markt wieder deutlich erholt. Im ersten Halbjahr 2024 musste jedoch ein Rückgang um 15,5 Prozent gegenüber 2023 verzeichnet werden. Weil Champagner nur in den wenigsten Fällen als Jahrgangsfüllung verkauft wird, können die Kellereien solche Schwankungen durch die Vergrößerung ihres Depots an Reserveweinen abfangen. In der Vergangenheit war diese Reserve auch eine Versicherung, um Jahre mit wetterbedingt geringen Ernten auszugleichen. So hatte man 2021 trotz der Klimaerwärmung mit durchschnittlich 7.000 Euro pro Hektar aufgrund von Hagel und Frost die geringste Ernte seit 40 Jahren zu verzeichnen. Umso erstaunlicher ist es, dass die Kellereien trotzdem aktuell immer noch rund vier Jahrgänge im Keller liegen haben. Der langjährige Durchschnitt betrug drei Jahre.

Anders als in Österreich war der bisherige Jahresverlauf in der Champagne nicht von Hitze, sondern vor allem von endlosem Regen geprägt. Dank eines warmen Augusts startete die Ernte dennoch relativ früh Anfang September. Bis wir die ersten Chargen des 2024er Jahrgangs im Glas haben, dauert es noch rund zwei Jahre. Die ersten Vintages dürfen frühestens nach drei Jahren Flaschenreife auf den Markt kommen. Bei großen Marken dauert es deutlich länger. So wird in Österreich Anfang September der aktuelle Dom Pérignon Vintage 2015 präsentiert werden. Es war ein Hitzejahr.