Es war schon immer so, dass die Auflage den Preis bestimmt. Als das Taschengeld noch sehr beschränkt war, konnte ich mir manchmal nur eine Marinara leisten, schon die paar Schilling mehr für eine Margherita – also mit zusätzlichem Käsebelag – waren zu viel. Es kamen bessere Zeiten. Irgendwann spielte der Preis bei der Pizzabestellung für mich nur mehr eine untergeordnete Rolle, und ich konnte frei wählen: Cardinale oder Capricciosa? Siciliana oder Napoli? Quattro Stagioni oder Quattro Formaggi? All das klang sehr verlockend (insbesondere die Cardinale), aber mir wurde bald klar, dass ich eine übervolle Pizza mit allzu viel Belag einfach nicht mag. Außerdem: Wer braucht schon Mais, Dosenchampignons oder Tiefkühlshrimps auf der Pizza? Oder eine Ananas? Dann lieber eine Prosciutto Crudo mit echtem San-Daniele-Schinken – das war meine erste „Gourmet Pizza“. Irgendwann habe ich dann entdeckt, dass es nicht nur in Österreich und Italien Pizza gibt, sondern auch in New York und Los Angeles, in Buenos Aires und Rio de Janeiro sowie in Tokio und in Genf.
Während meiner New Yorker Studentenzeit gehörte Pizza dann zu meinen Grundnahrungsmitteln. Doch die berühmte „Slice“ einer riesigen New-York-Pizza hatte mit dem, was ich bis dahin als Pizza kannte, nur wenig zu tun. Noch weniger verstanden habe ich das kulinarische Konzept hinter der dicken Chicago-Style Pizza, die ein wenig an die Porteño-Pizzas aus Buenos Aires erinnert, wo Pizza wahrscheinlich noch populärer ist als selbst in Neapel. Fortan habe ich auf der ganzen Welt Pizza gekostet – von Tokio bis Los Angeles. Die beste Pizza der Welt gibt es aber nach wie vor in Italien. Allerdings nicht in Neapel, sondern in San Bonifacio, das auf halber Strecke zwischen Verona und Vicenza liegt. In seinem Pizza-Ristorante I Tigli zeigt Simone Padoan mit seinen Pizza-Contemporanea-Kreationen, was alles möglich ist, wenn man sich nicht an strenge Traditionen hält.
In Kalifornien werden die meisten Pizze relativ klassisch nach italienischem Vorbild gebacken, beim Belag herrscht jedoch eine bunte Vielfalt wie nirgendwo anders auf der Welt: BBQ-Chicken, Tintenfische, Avocado, Bohnen, Faschiertes und alle möglichen Früchte – von Feigen über Birnen bis zu Mandarinen und Ananas! Erstaunlicherweise schmeckt die eine oder andere Kombination gar nicht so schlecht.
Noch erstaunlicher ist, dass ein Österreicher als Miterfinder der California Style Pizza gilt. Noch bevor Wolfgang Puck sein erstes Spago-Restaurant in Los Angeles eröffnete, war er im Jahr 1980 im Spectro in San Francisco zu Gast, wo ein gewisser Ed LaDou ungewöhnliche Pizza-Kreationen mit Schafskäse, Prosciutto oder Trüffel servierte. Puck war derart angetan, dass er LaDou prompt nach Los Angeles einlud, damit er in seinem neuen Spago-Restaurant den Pizza-Ofen übernimmt.
Gemeinsam entwickelten LaDou und Puck über 250 verschiedene Gourmet-Pizza-Variationen, die wie eine Bombe einschlugen. Seine „Jewish Style Pizza“, bei der man einen „Rohling“ bäckt und ihn erst danach mit Creme fraîche bestreicht und schließlich mit geräuchertem Lachs und Kaviar belegt, hat die Vorstellung, wie wir über Pizza denken, weltweit verändert. Die Gourmet-Pizza war geboren! LaDou verabschiedete sich ein paar Jahre später vom Spago und half bei der Entwicklung der Restaurant-Kette „California Pizza Kitchen“, wo erstmals California Style Pizza populär wurde. Der Rest ist Geschichte.
Wenn man sich einmal von der Idee befreit hat, dass eine Pizza wie in Italien (oder besser gesagt, wie in einer italienischen Pizzeria in Österreich) schmecken muss, geht vieles. Gleichzeitig gilt es, die Parameter neu zu fassen, worauf es bei einer guten Pizza wirklich ankommt. Mit einem Neapolitaner kann man darüber natürlich nicht vernünftig diskutieren. Mit einem Chino-Japaner aus New York, der seit vier Jahren in Rio de Janeiro die besten Pizze der Stadt bäckt, hingegen schon.
„Es geht um den Teig und den Ofen, beim Rest kann man sich spielen“, erklärte mir Sei Shiroma bei meinem letzten Besuch, worum es beim Pizzabacken seiner Meinung nach geht. Seine erste Pizzaria (ja, so schreibt man das in Brasilien) war winzig. Beeindruckend groß war nur der Ofen, der täglich mit Holz befeuert wurde. „Ich habe anfangs davon gelebt, in einem kleinen Ofen, der im Kofferraum meines Autos eingebaut war, bei Festivals Pizza zu backen. Die Leute haben das geliebt, aber mich haben meine damaligen Pizze nie wirklich begeistert. Ohne einen richtigen Pizza-Ofen kann man einfach keine gute Pizza backen“, meint Sei. Beim Teig wird seiner Meinung zu viel über das Mehl, aber zu wenig über die Fermentation gesprochen. Er setzt auf eine sehr langsame Fermentation, durch die einfach ein besserer und schmackhafterer Teig entsteht.
Für lokales Aufsehen sorgte seine Belegung, die sich vom klassischen neapolitanischen Vorbild deutlich unterscheidet. „Ich bin kein Italiener, sondern – wenn man so will – ein New Yorker. Meine Mutter ist Chinesin, mein Vater Japaner. Ich bin mit New York Style Pizza aufgewachsen, auch wenn das meistens keine große kulinarische Erleuchtung war. Hier in Brasilien belege ich meine Pizze mit den Dingen, die ich frisch am Markt bekomme, und kombiniere sie, wie es mir gefällt“, so Sei. Besonders angetan hat es ihm der fermentierte brasilianische Insektenhonig, der kaum süß, dafür aber sehr aromatisch ist. Außerdem kommen ihm nie mehr als drei Komponenten auf die Pizza, weil das reicht, um eine spannende Kombination zu ergeben. Anfangs wurde er als „Pizza-Nazi“ verunglimpft, weil er sich weigerte, auf Sonderwünsche („mehr Käse“, „extra scharf“ etc.) einzugehen. Auch das in anderen Pizzarias beliebte Ketchup hat er zum Unverständnis mancher Gäste aus seinem Lokal verbannt. Doch diese kritischen Stimmen sind längst verstummt. Sein erstes Mini-Lokal Farinha e Ferro musste er noch in einer wenig attraktiven Gasse im Arbeiterbezirk Catete aufsperren. Es folgte ein weiteres Lokal in Botafogo und vergangenes Jahr noch eines im schicken Leblon. Sei ist in kürzester Zeit zum unumstrittenen Pizza-König von Rio geworden.
Wo gibt es die beste Pizza der Welt? Für den New Yorker Starkoch David Chang ist die Antwort klar: Tokio! Und viele Experten geben ihm recht. Die Japaner (und zigtausende westliche Ex-Pats, die dort leben) lieben Pizza. Und wer den Fanatismus kennt, mit dem sich japanische Köche an die Umsetzung einer kulinarischen Idee machen, wird sich nicht wundern, dass es in der japanischen Hauptstadt einige der besten Pizza-Bäcker der Welt gibt. Insofern hat Chang zweifellos recht. Wenn man eine Marinara in makelloser Purezza sucht, wird man auf der Welt keinen besseren Platz als das Seirinkan finden. Susumu Kakinuma macht aber auch grandiose Margheritas, die zusätzlich mit frischen Tomaten belegt werden. Andere Pizze gibt es bei Kakinuma nicht, womit sich auch eventuelle Fragen nach Extrawünschen erübrigen. Sein schärfster Konkurrent im Rennen um den informellen Titel „Bester Pizzaiolo Tokios“ ist Tsubasa Tamaki, der zuvor bei Kakinuma gelernt hatte. Es sind Kleinigkeiten, wie das zarte Aromatisieren durch die kurzfristige Beigabe von speziellen Holzsorten in den Ofen oder den leichten Salzregen, den Tamaki seinen Pizze mit auf den Weg gibt, bevor er sie ins Rohr schiebt, die zeigen, mit welcher Hingabe und Detailverliebtheit hier Pizza gebacken wird. Immer wieder probiert Tamaki auch Spezial-Pizze mit japanischen Toppings, die absoluten Kultstatus haben.
Außerhalb von Italien ist man sich weitgehend einig, dass die Pizza aus Neapel stammt. Doch fragen Sie einmal einen römischen Pizzaiolo! .....
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In seinem Pizza-Ristorante I Tigli zeigt er mit seinen Pizza-Contemporanea-Kreationen, was alles möglich ist, wenn man sich nicht an strenge Traditionen hält.
Lachs und Caviar: Wolfgang Puck erfand in Los Angeles vor 40 Jahren die erste Gourmet-Pizza
– SEI SHIROMA –
Eine Kreation von Lukas Mraz, als er noch in der Berliner Cordobar kochte