DIE WILDE PRACHT DER ALPEN

Er ist Jäger und Sammler, Imker und Züchter. Und eben auch Koch. Seine vom Wild geprägten Gerichte formt er zu einem der besten Wildbret-Menüs des Landes. Er war Küchenchef im Tannenhof in St. Anton, und bei so viel Dynamik, Engagement und Kreativität wundert es auch niemanden, dass der Mann gleich ein weiteres Gastro-Projekt auf die Beine gestellt hat: die Jagdstube im Chaletdorf Bergwiesenglück in See im Paznaun. Wir haben den gebürtigen Steirer in seiner Wahlheimat in Vorarlberg besucht.

Text & Fotos: Jürgen Schmücking

Schutzhaube und Handschuhe? Nicht bei seinen Völkern. Sie danken es ihm mit sensationellem Honig.

Das Haus der Jantschers in Ranggen ist nicht zu verfehlen. Eine architektonische Schönheit, schlicht und bordeauxrot, die sich deutlich vom Rest der hiesigen Bauweise abhebt und sich trotzdem gut ins Gelände fügt. Außerdem steht davor die lebensgroße Skulptur eines Stiers. In der Garage, neben dem geländegängigen Arbeitsgefährt lehnt eine Harley mit Jantschers Namen als Schriftzug am Kotflügel. Der Mann hat eine Vorliebe fürs Wilde. Nicht nur am Teller. Hinterm Haus blüht und gedeiht die Vielfalt. Ein üppiger Kräuter- und Gemüsegarten, der an Permakultur erinnert, ein Taubenschlag auf der einen, eine Hühnerstall auf der anderen Seite. Nicht irgendwelche Hendln, wohlbemerkt. Bresse-Hühner mussten es sein. Eigentlich darf die Rasse außerhalb der Region Bresse, die nördlich von Lyon, zwischen Saône und Jura liegt, nur mit dem Zusatz “Gauloise” vermarket werden. Das kümmert Gustav Jantscher aber kaum. Die meisten seiner Bresse-Hühner landen ohnehin in der Tannenhof- oder Jagdstubenküche. Oder am eigenen Teller. Dann rennen am Grundstück noch ein paar Enten und zwei Fasane herum. Und am Dach der Garage stehen etliche Bienenvölker. Wenn er mit seinen Bienen arbeitet, schlüpft Jantscher in den weißen Overall und setzt sich die Imkerhaube mit dem schwarzen Schutzvisier auf. Notwendig sei das aber nicht. Zucht, Rasse und Gewohnheit haben seine Völker zu vergleichsweise friedlichen und umgänglichen Bienen werden lassen. Die Waben holt er mit bloßen Händen aus dem Stock und zeigt stolz auf die markierte Königin. Dass der Honig, den er – gemeinsam mit den Bienen – macht, ein intensives Füllhorn alpiner Aromen ist, versteht sich fast von selbst. 

Nicht ohne Simone. Die Frau an Gustav Jantschers Seite.

«In der Jagdstube im Bergwiesenglück kann ich meine Ideen umsetzen.»

Die zwei Hotspots der wilden Küche

Kommen wir zum Wesentlichen. Der Küche von Gustav Jantscher und den beiden Orten, an denen Sie Genießern zur Verfügung stehen. Während der Wintermonate ist Jantscher Küchenchef im Tannenhof in St. Anton am Arlberg. Genauer gesagt in St. Jakob, einem Antoner Ortsteil im Osten. 2020 übernahm er dort das Küchenzepter von James Baron und stellte die Küchenlinie radikal um. Es gibt natürlich auch ein  “Gourmetmenü” mit Austern, Gambero Rosso und Tiroler Grauvieh, wer Jantscher allerdings kennt und ein wenig Offenheit für Neues, vielleicht auch Gewagtes, mitbringt, sollte sich für das wilde Gourmetmenü entscheiden. Es gehört einfach zu den besten und kreativsten Wildmenüs des Landes. Jantscher startet mit Gängen wie “Gams und Walnussblatt” oder “Taube im Hopfensud” oder – ein Highlight ohne Zweifel – Herz vom Reh mit Mispel und schwarzen Trüffeln. Der Gang wird mit einer Wildschweinborste garniert und ist so dermaßen harmonisch und ausgewogen, dass es eine Freude ist. Wildherz ist, aus verschiedenen Gründen, ohnehin kaum zu bekommen. Wenn dann auch noch ein herausragendes Gericht fabriziert wird, macht das eigene einen Sprung. Murmeltier, ebenfalls kein Dauerbrenner auf alpinen Speisekarten, macht er entweder eine Art Ragù oder Ravioli. Beides ist unglaublich arbeits- und zeitaufwändig, da das tranige Fett des “Mankeis” im Nullkommanix das Fleisch kontaminieren und damit ungenießbar machen kann. Und genau dieses Fett ist beim Murmel an Stellen, die man sich gar nicht vorstellen kann. Höchste Konzentration und präzise Schnitte sind notwendig, um aus dem Alpenpfeifer ein schmackhaftes Gericht zu machen. Für die Ravioli verwendet Jantscher eine Farce aus dem geschmorten Murmelfleisch, vermischt es mit dem gelierten Schmorfond und füllt damit die Teigtascherl. Der Geschmack ist unglaublich. Wenig verwunderlich, besteht doch die Nahrung der Murmeltiere aus nichts anderem als frischen Bergwiesengräsern und Alpenkräutern. Auch sonst beschränkt sich Jantschers Wildküche nicht auf Hirschbraten und Rehrücken. Vom Hirsch werden Hirn und Zunge serviert, aus der Brust des Auerhahns macht er Schinken. Was – zumindest für Österreich – ziemlich einzigartig ist. 

Im Tal genauso wie oben auf der Jagdhütte: immer das Schöne, das Ästhetische im Blick.

«Ich jage nicht nur wegen des Fleisches. Ich genieße auch die Ruhe und die Natur am Berg.»

Die Jagdstube im Bergwiesenglück ist der Ort seines Schaffens, wenn der Tannenhof saisonbedingt geschlossen hat. Also den Rest des Jahres. Hauptsächlich im Sommer und im Herbst. Bei diesem Menü hat man das Gefühl, dass Jantscher sogar noch einen Schritt weiter geht. Man erkennt die Handschrift zwar ohne Probleme, aber es finden sich Gerichte auf der Karte, die noch ein klein wenig über das hinausgehen, was im ohnehin schon recht mutigen Tannenhofmenü geboten wird. Als “Gruß aus der Küche” kommt der Schädel eines Hirsches. Darauf angerichtet und drapiert: Salami vom Steinbock, Schinken von der Gams. Zirbenbutter und selbst gebackenes Brot. Ein klares Statement, das die Richtung vorgibt. Gleich danach kommt ein Jantscherklassiker. Die Essenz vom Steinbock. Diese “Suppe” gab es bereits, als er noch Küchenchef in der Schlossherrenstube in Ischgl war. Mittlerweile ist sie perfektioniert. Dichter, präziser und eleganter als in dieser Essenz ist Steinbock nicht zu bekommen. Im Bergwiesenglück wird sie mit Schnitten von der Steinbockmilz serviert. In einem dieser wunderschönen großen Teller aus der “Cielo”-Serie von Stephanie Hering. Das Gericht ist optisch großartig und geschmacklich ein Traum. Dann kommen Gänge mit Taube, Murmel und Kahlwild. Kahlwild ist das weibliche Rotwild samt Kälbern. Dieser Gang ist ausgeprochen mutig. Aber auch ausgesprochen gut gelungen und köstlich. Herz, Zunge, Niere. Vor allem die Niere. Wie gesagt. Ein gewagter, aber großartiger Gang. Für alle, für die Innereien und Zunge eine Ãœberwindung sind: es ist ein lohnendes Abenteuer.

Gustav Jantscher ist ein wilder und kräftiger Kerl. Es gibt nicht viele Köche, die derart stark mit der Natur verbunden sind. Wenn er mit Gästen zu seiner Jagdhütte im Naturschutzgebiet Faludriga wandert, hat er eine “Krax’n” am Buckel und schleppt die Zutaten für seine Gerichte, das Bier, den Wein und was sonst noch notwendig ist, auf den Berg. Blaser und Habicht, also Büchse und Fernglas sind sowieso dabei. Jantschers Küche ist der Natur verpflichtet. Er proviziert gerne, verfolgt aber eine klare Linie und ist sich selbst stets treu. Sein Begriff von Regionalität umfasst sein Revier im Gebirge ebenso wie den großen Alpenbogen.

Wenn wir darüber nachdenken, wie alpine Küche aussehen kann, ist Gustav Jantscher einer, der Antworten geben kann. Klar, es ist seine Sicht, es sind seine Antworten. Aber es sind spannende Antworten. Und sie schmecken unfassbar gut.

«Bresse? Das ist die Königsklasse unter den Hühnern.»

Für seine Zutaten ist Jantscher oft lange unterwegs. Aber der Weg lohnt sich.

was & wo

Jagdstube im Boutique Hotel Bergwiesenglück
Neder 400
6553 SeeÂ