MUT KANN MAN NICHT KAUFEN

Mit einer Extraportion Enthusiasmus und eben soviel Naivität sind drei junge Salzburger vor zwölf Jahren daran gegangen, ein Festival für elektronische Musik ins Leben zu rufen. Heute begeistert das Electric Love Festival am Salzburgring Hunderttausende junge Musikfans.

Text: Wolfgang Schedelberger; Fotos: Rainer Fehringer / Joey Timmer

Manuel Reifenauer: Auf diese Couch passen sechs Leute. Ohne Probleme!

Wir brauchen einen richtigen Kracher! Das war für Manuel Reifenauer, Thomas Priewasser und Tim Moser von Anfang an klar. Sie hatten zuvor in unterschiedlichen Branchen gejobbt und nebenher Feste und kleinere Musik-Events organisiert. Jetzt wollten sie ihr Hobby zum Beruf machen und ein richtiges Festival veranstalten. Elektronische Musik sollte es sein, soviel war klar, das war ihre gemeinsame musikalische Leidenschaft. Und wer war damals der größte Name dieses Genres? Richtig: David Guetta!

Den Superstar haben sie tatsächlich als Headliner bekommen, wobei ordentlich Lehrgeld bezahlt wurde. „Wir hatten unser Budget Daumen mal Pi ausgerechnet gehabt, ein realistisches Angebot gelegt und die fixe Zusage bekommen. Dass dann noch einmal ein fünfstelliger Betrag für ‚Nebengeräusche‘ wie die Anmietung eines Privatjets dazu kommen würden, war uns allerdings nicht klar gewesen“, erinnert sich Manuel Reifenauer an unliebsame Überraschungen Premierenjahr. Es war nicht die einzige Fehlkalkulation – und bei weitem nicht die Größte: „Man sagt, dass beim Hausbau immer unerwartete Probleme entstehen, die man in der Regel mit zusätzlichen 10.000 Euro lösen kann. Bei einem Festival gilt das gleiche Prinzip, allerdings mit einer Null mehr.“

« Wir hatten es als Rookies tatsächlich geschafft, ein Festival zu realisieren. »

Gelungene Premiere mit sattem Minus

Obwohl alles mehr oder weniger gut funktioniert hatte – Sponsoren waren an Bord, das Line-Up attraktiv, das Wetter hat gepasst, über 20.000 Zuschauer waren gekommen – folgte das böse Erwachen in den Wochen nach dem zweitägigen Festival im Juli 2013. „Zunächst waren wir super happy. Wir hatten es als ‚Rookies‘ tatsächlich geschafft, ein großes Festival zu realisieren. In den Wochen vor dem Event haben wir Tag und Nacht gearbeitet und waren mit tausenden Details beschäftigt. Als es dann darum ging, Bilanz zu ziehen und offene Rechnungen zu bezahlen, folgte das böse Erwachen. Statt einer roten Null hatten wir 1,6 Millionen Euro Schulden angehäuft. Wir mussten unsere Lieferanten, die auf uns vertraut hatten, vertrösten, was mir bis heute peinlich ist“, erinnert sich Reifenauer an die Premiere.

Das folgende Gespräch bei einem Unternehmensberater war ernüchternd: Konkurs oder Ausgleich! Beides kam für die drei Jungunternehmer nicht in Frage. Schließlich hatten sie ja etwas Großartiges erschaffen und 20.000 junge Menschen begeistert. Sie würden es schon irgendwie schaffen, zumindest einen Teil der Schulden mit der zweiten Veranstaltung im Folgejahr zurück zu zahlen. Die unvermeidlichen Anfängerfehler würde man kein zweites Mal begehen.

« Bei der vierten Auflage des Electric Love Festivals gab es erstmals einen Gewinn. »

Vermeintliche Trendwende 2014

Tatsächlich gelang es dem Trio die Gläubiger zu vertrösten. Der Vorverkauf fürs zweite Jahr lief glänzend, womit man die dringendsten Verbindlichkeiten aus dem Vorjahr begleichen konnte. Trotz des regnerischen Wetters war das Festival gut besucht. Das Ergebnis war eine schwarze Null, womit man zwar nicht die bestehenden Schulden begleichen konnte, aber immerhin keine neuen Verbindlichkeiten hinzukamen. Das beruhigte auch die Sponsoren. 2015 wollte man dann richtig durchstarten und endlich in die Gewinnzone kommen. Das bedingte eine Verlängerung auf drei Tage und die Neugestaltung der Bühnen. Erstmals war man bereits vor Veranstaltungsbeginn ausverkauft – alles schien wie am Schnürchen zu laufen, doch das strukturelle Problem – drei engagierte Musik-Freaks ohne kaufmännischen Background waren für ein Millionenbudget verantwortlich – hatte sich nicht geändert. Von außen betrachtet erschien das Electric Love Festival 2015 wie eine einzige Erfolgsgeschichte, doch die Bilanz wies ein Rekordminus von 1,8 Millionen Euro aus. Die in der Öffentlichkeit gefeierten Jungunternehmer hatten mittlerweile 3,4 Millionen Schulden zu verantworten. So konnte es nicht weiter gehen!

Neue Partner, neue Struktur

Zunächst galt es, einen Finanzinvestor zu finden, um die Liquidität für eine weiteres Festival zu garantieren. Das gelang auch. Im Gegenzug erhielt dieser eine 25% Beteiligung an der Agentur Revolution Event, die als Veranstalter fungiert. Bedingung für diese Beteiligung war allerdings, dass sich endlich jemand seriös um die Finanzplanung kümmert. Also wurde Jürgen Kornmüller als Finanzvorstand an Bord geholt. Später stieg Kornmüller auch als Partner ein, der Gründungspartner Tim Moser hat die Agentur mittlerweile verlassen.

„Die wichtigste strategische Entscheidung von Jürgen lag darin, die Budgetverantwortlichkeiten mit klaren Verantwortungsbereichen zu dezentralisieren. Bis dahin waren alle Entscheidungen mehr oder weniger kollektiv über unsere Schreibtische gegangen, ohne dass jemand von uns einen tatsächlichen Überblick über den laufenden Geschäftsgang hatte. Außerdem waren wir ja mit wichtigen Dingen, die uns wirklich interessiert haben – das Booking der Künstler, die Sponsorenpflege, die Gestaltung der Bühnen und vielem anderen mehr – voll eingedeckt“, erinnert sich Reifenauer an die tatsächliche Trendwende ihres Unternehmens. Bei der vierten Auflage des Electric Love Festivals wurde im Jahr 2016 erstmals ein Gewinn von stolzen 1,8 Millionen verbucht. 

The ORGANICS Beach: Chill-out mit Yoga, Stand-up- Paddling oder Workouts am Fuschlsee.

Professionalisierung und Wachstum

In dieser Tonart ging es weiter. Auch die Jahre 2017, 2018 und 2019 waren extrem erfolgreich. Mit dem Festival Shutdown im aufgelassenen AKW Zwentendorf, das immer Anfang August über die Bühne geht, kam eine zweite, deutlich kleinere Veranstaltung dazu. Seit dem Vorjahr ergänzt das Indoor-Event Nukranox (im Dezember im Salzburger Messegelände) den Veranstaltungsreigen. Die Inszenierung jeder Ausgabe des Electric Love Festivals wurde noch ein Stück aufwändiger und professioneller, auch was die Präsentationsmöglichkeit von Partnern betrifft. So wurde etwa im Jahr 2019 ein Set für die Ankündigung der neuen Staffel der Netflix-Kultserie Stranger Things nachgebaut. Wenn sich (über drei Tage akkumuliert) 180.000 junge Menschen an einem Ort versammeln, ist dies für die Werbewirtschaft eine ideale Gelegenheit, Produkte zu präsentieren, von Soft- und Energydrinks (Red Bull) über Bier (Heineken) und Spirituosen (Absolut Wodka) bis hin zu Banken, Mobilfunkanbietern, Medien und Fluglinien. 

Kreativ durch die Pandemie

Die Planung für das achte Electric Love Festival war im März 2020 schon weitgehend abgeschlossen, als der Ausbruch der Corona-Pandemie allen Beteiligten einen Strich durch die Rechnung machte. Schnell war klar, dass man unter diesen Umständen nicht an die Durchführung einer Großveranstaltung mit mehr als 100.000 Leuten denken könne. „Aufgrund der vergangenen ‚fetten‘ Jahre hatten wir einen gewissen Polster erwirtschaftet, der es uns ermöglichte, eine Rückerstattung der bereits verkauften Tickets anzubieten, was in Europa einzigartig war. Die Mehrheit hat allerdings, wie erhofft, die Verschiebung der Gültigkeit für 2021 gewählt“, erzählt Reifenauer.

Im Juli 2020 fand das Electric Love Festival nur digital statt. Wie das geht? Das Veranstaltungsgelände wurde im Web nachgebaut, die Musik der gebuchten DJs eingespielt. So konnte man die Beziehung mit den Stammgästen auch während der Pandemie aufrechterhalten.

Dass es auch ein zweites Pandemie-Jahr geben würde, haben Reifenauer & Co zu diesem Zeitpunkt nicht voraussehen können, aber doch in die Planung einbezogen. Statt im üblichen Rahmen mit 180.000 Gästen wurde nur ein eintägiges „Boutique-Event“ für 10.000 Besucher geplant. Diese Vorsicht hat sich ausgezahlt. Während fast alle Musikfestivals in Europa auch 2021 abgesagt werden mussten, konnte Electric Love dank eines durchdachten Sicherheitskonzepts stattfinden. 2022 kehrte man zum bewährten Format zurück, das mittlerweile um einen „Pre-Opening-Day“ am Donnerstag erweitert wurde. 

Ein Event für die ganze Region

Wenn rund 60.000 junge Leute für drei bis vier Tage auf ein Festival kommen, hat dies natürlich auch positive Auswirkungen auf alle Tourismusbetriebe der Region. Der Großteil der Besucher übernachtet auf einem der Festival-Campingplätze, viele suchen sich aber doch ein gemütliches Hotelzimmer – entweder rund um den Fuschlsee oder in der Stadt Salzburg, von wo während des Festivals permanent Shuttle-Busse zum Salzburg Ring fahren. Die Tourismusregion Fuschlsee hat die durch das Electric Love Festival geschaffene zusätzliche Wertschöpfung mit rund zwölf Millionen Euro beziffert. Bereits zum wiederholten Mal wird auch heuer wieder der Red Bull Organics Beach am Fuschlsee geöffnet sein. Dort geht es mit Yoga, Standup Paddling oder gemeinsamen Workouts sehr chillig durch den Tag, sodass man am Abend zum Festival-Besuch wieder fit ist.

Gelebte Partnerschaften

Wann immer möglich gehen die Partnerschaften mit Sponsoren weit über die Präsenz von Produkten und Logos hinaus. Besonders hervorhaben will Reifenauer in diesem Zusammenhang Red Bull, das von Anbeginn an Bord ist. „Der Claim ‚Wir verleihen Ideen Flügel‘ stimmt tatsächlich. Jedes Mal, wenn wir die Ideen für das folgende Jahr entwickeln, kommen von Red Bull Inputs, die uns entscheidend weiterhelfen. Als wir ihnen erzählt haben, dass wir 2024 erstmals Tänzer für die Opening Show dabei haben wollen, kam sofort der Kontakt zur weltbekannten Tänzerin und Choreographin Luwam Russom, die wir sogleich engagieren haben“, streut Reifenauer den energetischen Nachbarn vom Fuschlsee Rosen. 

2022 wurde das bewährte Format um einen „Pre-Opening Day“ am Donnerstag erweitert.

Kreativschmiede mit vielen Facetten

Trotz der Dimension des Electric Love Festivals waren wir beim Interview-Besuch bei Revolution Events über die Größe der Agentur erstaunt. Rund 30 Mitarbeiter sind im modernen Büro in Puch bei Salzburg beschäftigt. „Das Electric Love Festival ist natürlich mit Abstand unser größtes Projekt. Wir engagieren uns auch als Ideenschmiede für die Entwicklung von einzigartigen Events für größere Unternehmen, die wir dann auch operativ umsetzen. Gerade der kreative Part, wie etwa Gestaltung und Inszenierung macht mir unglaublich viel Spaß. Das war schließlich einer der Gründe, wieso ich vor zwölf Jahren meinen Job beim Radio gekündigt habe. Weil unsere Agentur jetzt auch finanziell stabil gemanagt wird, kann ich mich mit meiner ganzen Energie solchen Themen widmen“, freut sich Reifenauer über die Entwicklung, die das Unternehmen in den letzten Jahren genommen hat. 

Die Opening Show ist ein gewaltiges Spektakel für alle Sinne.

« Jedes Jahr wird es ein Stück aufwendiger und professioneller. »

Rund 30 Mitarbeiter sind im modernen Büro in Puch bei Salzburg beschäftigt.

Info:

Electric Love Festival

Warm-Up: 3. Juli 2024

Festival: 4.-6. Juli 2024