PORTRÄT // INTERVIEW

WER BONIERT, VERLIERT

Im Café Anzengruber fließt nicht nur das Bier in Strömen, es rennt auch ständig der Schmäh. Tomislav „Tomi“ Saric führt den Familienbetrieb in dritter Generation und kennt fast alle seine Gäste beim Vornamen.

Text: Wolfgang Schedelberger // Fotos: Rainer Fehringer

Tomi Savic im Gespräch mit Chefredakteur Wolfgang Schedelberger

Viele sehen das Anzengruber als Bierlokal. Andere würden es als Beisl bezeichnen. Tatsächlich führt es aber den Begriff „Café“ im Namen. Wieso eigentlich?

Mein Opa hat das Lokal zunächst als Café geführt. Auch meine Eltern haben noch zu Mittag offen gehabt. Nachdem unser langjähriger Mitarbeiter Gigi, den wir als Teil der Familie betrachtet haben, in Pension gegangen ist, haben wir beschlossen, erst am Abend aufzusperren. Der Begriff „Café“ wird in unserer Stadt nicht primär für Kaffeehäuser verwendet, sondern bezeichnet zumeist Lokale, in denen es formlos und ungezwungen zugeht. Das Alt Wien und das Engländer sind zwei derartige Lokale, die ich sehr schätze und ebenfalls den Begriff „Café“ im Namen führen. Für ein Café haben wir ein ordentliches Speiseangebot. Für Gäste, die ein Restaurant suchen, wäre unsere Karte wahrscheinlich zu schmal. Ein Kaffeehaus sind wir sicher nicht, aber natürlich bekommt man bei uns auch einen sehr guten Kaffee.

Die meisten Gäste trinken Bier oder Wein. Wie gehst du persönlich mit dem Thema Alkohol um?

Ich bin zwar kein Kind von Traurigkeit, gleichzeitig ist das aber auch meine Arbeit. Wenn ich jedes Mal mittrinken würde, wenn mich ein Gast einladen will, wäre ich jeden Abend betrunken. Das funktioniert so natürlich nicht. Manche Gäste kommen, weil ihnen unser Essen so gut schmeckt, viele schauen aber auch einfach vorbei, weil sie etwas trinken und sich mit anderen Gästen unterhalten wollen. Das Anzengruber ist also vor allem ein Ort der Kommunikation.

… und die funktioniert natürlich dann besonders gut, wenn man Gäste hat, die auch etwas zu erzählen haben. Wie ist es zu diesem spannenden Gästemix gekommen?

Das hat schon vor rund 30 Jahren bei meinen Eltern begonnen. Was es genau ausmacht, lässt sich schwer sagen. Ich behandle jedenfalls alle Gäste gleich. Die Fußballer kommen, weil sich schon mein Vater sehr für Fußball interessiert hat und auch viele kroatischen Spieler gerne zu uns gekommen sind. Ich habe bis 21 selbst wettkampfmäßig gespielt, aber für eine große Karriere war ich schlussendlich einfach nicht gut genug. Das Interesse ist aber geblieben und wir übertragen die großen Spiele auf einer Leinwand. Allerdings ist das Angebot in den letzten Jahren inflationär geworden, ich werde die Live-Übertragungen in Zukunft etwas zurückfahren. Wir werden auch bei der WM im November nicht extra aufsperren und auch nicht alle Spiele zeigen. Dass so viele Künstler kommen, hat wohl auch mit unserer zentralen Lage zu tun. Bei uns werden sie in Ruhe gelassen und können sich so geben, wie sie sind. Was mich besonders stolz macht, ist, dass auch viele Kollegen aus der Gastronomie gerne zu uns kommen.

Einige der Bilder an den Wänden wechseln, ansonsten verändert sich im Anzengruber aber so gut wie nichts. Und doch gibt es seit ein paar Wochen eine eigene Website. Wieso eigentlich?

Ich habe mich lange dagegen gewehrt. Wer braucht das schon? Wir leben in der richtigen Welt und nicht in einer virtuellen Scheinwelt von Selbstdarstellern. Auch das ganze Theater mit Social Media und Gäste-Bewertungen auf Plattformen kann mir gestohlen bleiben. Deshalb ist unsere Website auch ganz simpel gehalten. Im Wesentlichen dient sie als Visitenkarte und soll Gästen dabei helfen, die richtige Telefonnummer für Reservierungen zu finden, wenn sie in einer größeren Runde zu uns kommen wollen. Aktueller Anlass war, dass wir jetzt zwei Ruhetage haben. Über Weihnachten und im August haben wir Betriebsurlaub, aber die Gäste wissen da nie genau, wann wir wieder aufsperren. Das findet man jetzt alles auf der Website. Schließlich wollen wir ja nicht, dass Gäste vergeblich zu uns kommen und vor verschlossenen Türen stehen.

Wieso habt ihr jetzt einen zweiten Ruhetag dazugenommen?

Weil sich das sonst mit den Arbeitszeiten nicht mehr ausgeht. Im Service arbeiten mein Schwager Andrej und ich, in der Küche meine Schwester Zana, meine Mutter und zwei weitere Mitarbeiterinnen. Sechs Tage in der Woche zu arbeiten ist auf Dauer einfach zu viel und einen Dienstplan mit weiteren Mitarbeitern zu erstellen, damit sich eine Sechs-Tage-Woche ausgeht, ist praktisch unmöglich.

Wie siehst du generell die Situation in der Gastronomie?

Jammern bringt ja nichts. Ja, die Inflation ist ein Problem, aber das betrifft alle Menschen mehr oder weniger. Hat es die Gastronomie besonders schwer?Vielleicht, aber auch hier gibt es keine generellen Regeln. Es gibt so viele verschiedene Betriebstypen, so unterschiedliche Positionierungen von Lokalen. Schlussendlich muss jeder sein eigenes Publikum finden und einen eigenen Weg entwickeln, damit es sich unterm Strich ausgeht. Was nervt, sind die zahlreichen Auflagen und die teilweise sehr mühsamen Kontrollen und Inspektionen. Da wird von den Behörden vielfach mit Kanonen auf Spatzen geschossen.

Ist da ein Spruch, wie „Wer boniert, verliert“ nicht kontraproduktiv? Vielleicht schaut die Finanz deshalb bei euch ganz besonders genau …

Aber geh. Das ist ein lustiger Spruch aus dem vorigen Jahrhundert. Am liebsten sag ich das zu Finanzlern oder anderen Inspektoren. Die meisten können darüber lachen, weil sie ja eh genau wissen, wie heute ein Gastronomie-Unternehmen funktioniert. Wir sind ja schon längst ein gläserner Betrieb geworden, weil alles irgendwo digital aufgezeichnet ist. Die Aufgabe von Behörden ist zu überprüfen, ob die Vorschriften eingehalten werden. Das ist ja auch in Ordnung. Ein bisschen mehr Verständnis würde ich mir für kleine Familienunternehmen allerdings wünschen. Wir brauchen keine Extrawürste, aber bei manchen Auflagen greift man sich schon an den Kopf.

Beide. Wenn ich eine erfolgreiche Mannschaft sehen will, schaue ich mir ein Kroatien-Spiel an, aber beim Fußball geht es ja auch ums Leiden und dafür sind Österreich-Matches perfekt.

Umwerfend und wunderschön

„Ins Anzengruber auf ein Bier“ ist in Wien ein geflügeltes Wort. Welches ist eigentlich euer Standard-Schankbier?

Wien ist traditionell eine Märzenbier-Stadt, also wird bei uns zumeist das Puntigamer bestellt. Für all jene, die es ein bisschen herber wollen, haben wir seit ein paar Jahren auch Trumer Pils vom Fass. Das betrifft ungefähr ein Drittel der Gäste. Nachdem wir bei unserer Schankanlage drei Leitungen haben, gibt es noch ein Spezialbier vom Fass. Das ist ein belgisches Trappistenbier von La Trappe. Das schmeckt mir auch persönlich sehr gut, ist obergärig und bernsteinfarben. Das wird ganz aktiv bestellt und macht all jenen, die so etwas mögen, viel Freude. Es gibt aber auch die Weinfraktion, die sich in den letzten Jahren stark entwickelt hat. Wir haben zahlreiche Bouteillen aus Österreich und Kroatien. Und wenn es dann wirklich spät wird, geht immer noch ein Averna.

Ich bestelle immer das Schnitzel. Für mich ist es das Beste der Stadt. Was macht es so gut? Und wieso geht es im Laufe des Abends immer aus?

Es wird immer mit Liebe gemacht, auch wenn viel los ist. Über eventuelle Küchengeheimnisse musst du mit meiner Mutter reden, die immer noch mithilft. Oder mit meiner Schwester Zana, die die Küche leitet. Ich kümmere mich um den Gastraum und die Getränke.

Wir kaufen seit Jahrzehnten bei denselben Lieferanten und setzen auf höchste Qualität. Bei einem Schnitzel geht es nicht ums Zaubern, sondern um solide Handarbeit und ein gutes Mise-en-Place. Deshalb sind sie dann im Laufe des Abends auch irgendwann einmal aus. Aber auch unser Gulasch wird hochgelobt und als Notlösung zu später Stunde haben wir dann immer noch einen Toast.

Zum Abschluss noch zu den wichtigen Dingen des Lebens. Austria oder Rapid?

Obwohl ich selbst einmal bei der Austria gekickt habe, schlägt mein Herz für Rapid. Auch in Zeiten wie diesen.

Hajduk Split oder Dynamo Zagreb?

Das ist einfach. Natürlich Hajduk.

Kroatien oder Österreich?

Beide. Wenn ich eine erfolgreiche Mannschaft sehen will, schaue ich mir ein Kroatien-Spiel an, aber beim Fußball geht es ja auch ums Leiden und dafür sind Österreich-Matches perfekt.

wer&wo

CAFÉ ANZENGRUBER

Schleifmühlgasse 19
1050 Wien

www.anzengruber.cafe