Dieser scheinbare Widerspruch ist durchaus gewollt. So geht es nämlich auch weiter, wenn man sich die Produktliste der Fleischloserei durchliest: Blutwurst, Bratwurst und Weißwurst sind hier zu finden. Erst ein Blick in die Vitrine macht stutzig – denn die Würste sehen irgendwie anders aus. Und das sind sie auch. Hergestellt wurden sie ausnahmslos aus veganen Zutaten und zwar von Demeter-zertifizierten Betrieben. „Würste sind ein weltweit bekanntes Traditions-Lebensmittel. Für die meisten von uns sind sie eine genussvolle Kindheitserinnerung. Und genau das will ich als Alternative auch ohne Fleisch möglich machen“, sagt Bernhardt.
Ihre Geschäftsidee als erste vegane „Fleischhauerin“ Österreichs liegt voll im Trend. Zwar macht der Marktanteil für Fleischersatzprodukte in Österreich erst 0,9 Prozent aus, die Zuwächse sind in den vergangenen Jahren aber beachtlich – von 2019 auf 2020 stieg die Produktion von Fleischersatzprodukten um 40 Prozent. In Österreich ernähren sich aktuell mehr als acht Prozent ausschließlich vegetarisch oder vegan, weitere 17 Prozent bezeichnen sich als Flexitarier, die nur sehr selten Fleisch oder Fisch essen. Fleischlose Würste sind somit ein attraktives alternatives Angebot für mindestens ein Viertel der Bevölkerung. Und genau aus diesem Grund werden sie auch für die Gastronomie von immer größerer Bedeutung, sagt Lukas Wischenbart vom oberösterreichischen Lebensmittelunternehmen „Vegini“, das sich auf die Herstellung von pflanzlichen Fleischalternativen aus Erbsenprotein spezialisiert hat. „Wer keine fleischlosen Alternativen zu bieten hat, schließt von vornherein einen Teil von potenziellen Gästen aus.“ Die Wurst spielt dabei eine wesentliche Rolle, weil sie ein Lebensmittel ist, das jeder kennt und liebt. Sie ist fest verankert in der kulinarischen DNA Österreichs, in fast jedem Gasthaus in unterschiedlicher Form ein Publikumsliebling und inzwischen auch in der Top-Gastronomie immer wieder einmal in kreativer Zubereitung anzutreffen. Und das auch in vegetarischer Form.
„Eigentlich verwehren wir uns ja dagegen, Fleischprodukte nachzuahmen. Ganz einfach deshalb, weil Gemüse für sich schon großartige Möglichkeiten bietet. Aber manchmal erlauben wir uns diesen Spaß dann trotzdem“, so Ivic. An die drei Wochen hat man im Tian an der vegetarischen Weißwurst getüftelt, danach konnten in einer Blindverkostung nicht einmal mehr die Mitarbeiter den Unterschied zur echten Weißwurst erkennen. Basis für das Brät, also den Inhalt, bilden Kräuterseitlinge. „Wie bei den Würsten mit Fleisch entscheidet natürlich auch bei den fleischlosen Alternativen das Brät über die Qualität des Produkts“, so Ivic. „Wir hatten damals ein sehr aufwendiges Verfahren entwickelt, damit wir die Weißwurst täuschend echt nachbauen konnten.“ Die Zusammensetzung des Bräts ist auch die hauptsächliche Unterscheidung, wenn man den aktuellen Markt der vegetarischen Würste betrachtet: Die einen setzen auf Tofu oder auf Seitan, andere auf Erbsen oder auf Bohnen – oder wie Paul Ivic im Tian eben auf Pilze wie den Kräuterseitling.
Dieser ist auch für Hermann und Thomas Neuburger ein unersetzlicher Bestandteil für ihre fleischlosen Rostbrat- und Käsebratwürstel, die die bekannten Traditionsfleischhauer („Sagen Sie niemals Leberkäse zu ihm“) unter der Marke „Hermann“ vertreiben. „Der Kräuterseitling gehört zu den Austernpilzen und erinnert in seiner Konsistenz an Fleisch. Er ist schon lange fixer Bestandteil der asiatischen Küche – ganz anders als bei uns, wo er noch viel Potenzial als Lebensmittel der Zukunft hat“, sagt Hermann Neuburger. Neben dem Pilz besteht die vegetarische Fleischalternative aus Reis, Öl, ein wenig Hühnerei und Gewürzen. Auf Zusatzstoffe, Konservierungsmittel und Aromen wird komplett verzichtet. Die Pilze werden mittlerweile selbst im Unternehmen gezüchtet und auch ihr Nährboden selbst gemischt. Ihr Produkt sehen sie als Möglichkeit einem ausufernden Fleischkonsum entgegenzuwirken und damit auch das Tierwohl zu verbessern. Hermann Neuburger: „Die Tierhaltung hat sich in den letzten Jahren nicht verbessert – ganz im Gegenteil. Außerdem wissen wir heute auch, dass sich der zu häufige Konsum von Fleisch negativ auf unsere Gesundheit auswirkt.“
Beim Lebensmittelgroßhändler Transgourmet beschäftigt sich auch Leo Aichinger (Executive Chef Cook) immer wieder mit Fleischersatzprodukten. „Bei unseren Verkostungen zeigt sich, dass einige wirklich nah an das Fleischprodukt herankommen. Andere entwickeln in puncto Geschmack aber auch eine spannende Eigenständigkeit.“ Zu letzterer Gruppe zählt sich die vegane „Fleischhauerin“ Silke Bernhardt. „Das Ziel ist es ja auch, ohne Zusatzstoffe und ohne Konservierungsmittel zu arbeiten. Und dann wird es mit einer Kopie von Fleisch schon sehr schwer.“ Sie setzt für die vegane Bratwurst auf eine Grundmasse aus Hülsenfrüchten wie weißen und roten Bohnen, Haferflocken und Sonnenblumenöl. Darm wird keiner verwendet, weil es laut Bernhardt auf dem Markt noch nichts Vergleichbares gibt, das ohne Zusatzstoffe auskommt. Ein Highlight aus ihrem Sortiment ist die Blutwurst: Verwendet werden schwarze Bohnen. Das weiße Innere der Bohne erinnert beim fertigen Produkt an Fett – wie bei der echten Blutwurst. Gemeinsam mit Semmelwürfeln werden sie zu einer Brotmasse verarbeitet und mit dem Saft von Roten Rüben ergänzt. „Geschmacklich hat das nichts mit einer Blutwurst zu tun. Gebraten oder gegrillt ist die vegane Blutwurst aber ein tolles, eigenständiges Gericht“, meint Bernhardt. Wie auch die Weißwurst – deren Brät aus Tofu und Seitan besteht und dann mit Petersilie und Zitronenschale verfeinert wird.
Auf die Erbse als wichtigsten Inhaltsstoff des veganen Bräts setzt das Lebensmittelunternehmen „Vegini“. Seit 2020 ist auch eine Bratwurst im Sortiment erhältlich. Entwickelt wurde ein eigenes Verfahren, das stets auf sechs Grundzutaten basiert: Erbsenprotein, Erbsenfasern, die aus der getrockneten und dann gemahlenen Schale, gewonnen werden, sowie Sonnenblumenöl, Kartoffelstärke, Salz und Trinkwasser. Diese Masse wird mit Kräutern und Gewürzen unter Druck erwärmt, so flockt das Eiweiß des Erbensproteins aus und bindet die Zutaten – es entsteht eine fasrige Struktur, wie man sie vom Fleisch kennt. „Keine Geschmacksverstärker, keine Konservierungsstoffe und keine künstlichen Aromen. Auch das ist ein wichtiger Eckpfeiler unserer Philosophie. Denn es macht wenig Sinn, ein gesundes Produkt herzustellen und es dann erst mit nicht gesunden Zusatzstoffen zu versehen“, ergänzt Marketingleiter Lukas Wischenbart. Aus diesem Grund kommen die Vegini-Bratwürste ohne Darm aus.
„Es gibt immer wieder Gelegenheiten, bei denen ein gutes Alternativprodukt zur klassischen Wurst gefragt ist“, sagt auch Drei-Hauben-Koch Manuel Liepert aus Leutschach. Ein Klassiker aus seinem Hause, den er gerne bei Veranstaltungen auftischt, ist sein „Luxus- Hot-Dog“ in Brioche mit Trüffelmayonnaise. Serviert wird es mit zarten Frankfurtern und in der vegetarischen Variante mit einer Wurst, die Liepert aus Kirchererbsen herstellt, ähnlich wie eine Falafel. „Sogar noch besser kommt sie als Alternative zur Currywurst an“, sagt Liepert, der als gebürtiger Deutscher weiß, wovon er spricht.
Immer wieder entdeckt man auch in der heimischen Spitzengastronomie fleischlose Würste in den Speisekarten – allerdings nicht vegetarisch, sondern mit einem Fisch-Brät. Gerhard Fuchs brachte während seiner Zeit im Tanglberg (1999 bis 2001) eine Zander-Weißwurst mit Perigord-Trüffel auf die Teller, die eine richtiggehende Sensation war. Und auch der als „Fleischtiger“ und begeisterter Jäger bekannte Peter Zinter denkt bei Wurst nicht immer nur an Fleisch. Einer seiner kulinarischen Hits war eine Weißwurst aus Zander und Jakobsmuscheln. Ein köstliches Beispiel für fischige Würste ist auch die Weißwurst vom Waller von Klaus Lobnik vom Gasthaus Spary in Kammern im Liesingtal. Ein Sommer-Standardgericht von Mike Johann (Johann’s in Bruck an der Mur) ist seit vielen Jahren die paprizierte Forellen-Bratwurst auf Erdäpfel-Gurken-Gulasch.
„Wurst und Fisch passt perfekt und ist für viele eine kulinarische Überraschung“, sagt man auch in der Hofmeisterei Fuchs in St. Leonhard in Salzburg. Der Salzburger Kaviar-Meister Walter Grüll produziert in Zusammenarbeit mit der Hofmeisterei ebenfalls fleischlose Würste – auch die sogenannte LaxFurter, die so knackig wie Frankfurter sind, aber zu 100 Prozent aus Lachs bestehen. „Wir verarbeiten dafür nur feinsten Lachs aus Norwegen, der mit Bio-Meersalz, Zitrone und ein paar weiteren Gewürzen verfeinert und danach über Buchenholz geräuchert wird. So entsteht das besonders feine Aroma der LaxFurter“, erklärt Metzgermeister Stephan Fuchs.
Schon vor zwölf Jahren hat Johann Parzer am Traunsee eine Wurst erfunden, die es damals als „Weltneuheit“ zu internationaler Bekanntheit brachte. Seine Fisch-Salami passt perfekt als fleischlose Alternative auch zu einer Brettljause. Sie wird heute noch in dem inzwischen von Tochter Nadine geführten „Fisch und Pasta“ verkauft. Inhalt dieser Wurst ist die Lachsforelle: Zuerst wird der Fisch filetiert, dann gecuttet und in einem penibel abgestimmten Verhältnis mit gehärtetem Pflanzenöl und einer Spezialwürzung in den Darm gefüllt, im Anschluss gedämpft, geräuchert und für drei bis sechs Wochen (je länger, desto besser) im Reifeschrank getrocknet. Das Ergebnis ist eine hocharomatische Wurst mit Biss, die mit etwa 85 Euro pro Kilo allerdings einen stolzen Preis hat. Wir meinen vollkommen zu Recht. Johann Parzer sagt dazu: „Es ist nicht nur ein aufwendiges Handwerk, sondern auch von den Produktkosten intensiv. Durch das Trocknen verliert das Fisch-Brät noch einmal 40 Prozent an Masse, aber nicht an Geschmack.“
Wie sehr fleischlose Würste ein Zukunftstrend sind, beweist auch ein Projekt im Bezirk Hartberg/Fürstenfeld. In der Gemeinde St. Johann soll bis zum Jahr 2023 mit der „KIA AquaFarm“ die größte Indoor-Fischzucht in Österreich entstehen. Zur Produkt-Range werden auch Fischbratwürste gehören. Verwendet wird der Afrikanische Raubwels, wie Geschäftsführerin Sandra Spies verrät. „Der Raubwels hat ein fast grätenfreies, sehr festes rotes Fleisch. Es erinnert an Kalbfleisch und bleibt beim Braten in einer stabilen Form. Auch den bei anderen Fischen typischen Geruch gibt es bei diesem Wels nicht, wodurch er auch für viele andere Produkte geeignet ist.“
Eine besonders interessante Geschichte hat übrigens die „Sojawurst“, die vielen Kritikern als banalste Version von fleischlosen Würsten gilt, weshalb wir sie auch ans Ende der Geschichte verbannt haben. Sie wurde 1916 von Konrad Adenauer erfunden, der als deutscher Nachkriegskanzler wie kein anderer mit dem Begriff „Wirtschaftswunder“ assoziiert wird. Er entwickelte während des Ersten Weltkriegs eine Wurst aus einem festen Brotbelag mit Gewürzen, hauptsächlich auf Soja-Basis. Wegen eines Formfehlers verweigerte ihm das Deutsche Reich zunächst das Patent. Also hat Adenauer seine Sojawurst schließlich in England angemeldet. Am 26. Juni 1918 erhielt Konrad Adenauer vom britischen König George V. sein offizielles Patent für das „Verfahren zur Geschmacksverbesserung von eiweißreicher und fetthaltiger Pflanzenmehle und zur Herstellung von Wurst“. Großen Erfolg hatte die Sojawurst nach dem Krieg jedoch nicht. Es waren andere Zeiten. Sowohl politisch als auch kulinarisch!
Nadine Parzer verkauft am Traunsee die Fisch-Salami. Inhalt dieser Wurst ist die Lachsforelle, das Ergebnis nach drei bis sechs Wochen Reifeschrank eine hocharomatische Wurst mit Biss.
Es macht wenig Sinn, ein gesundes Produkt herzustellen und es dann erst mit nicht gesunden Zusatzstoffen zu versehen. Deshalb kommen die Vegini-Bratwürste ohne Darm aus.
Produkte der Marke Vegini basieren weitgehendst auf Erbsenbestandteilen
Paul Ivic hat lange getüftelt, bis seine Weißwurst nicht mehr vom Original zu unterscheiden war.
HERMANN NEUBURGER
Die Traditionsfleischhauer Hermann und Thomas Neuburger vertreiben ihre fleischlosen Rostbrat- und Käsebratwürstel unter der Marke „Hermann“.
Das Restaurant DSTAgE ist eines der spannendsten Restaurants Spaniens, der Eigentümer Diego Guerrero einer der kreativsten Köche des Landes. Manchmal ist es besser, wenn man nichts weiß. Wer beurteilen will, wie gut eine Chorizo schmeckt und man vorher „gewarnt“ wird, dass es sich um eine fleischlose Wurst handelt, kann dieses Wissen nicht mehr „wegdenken“.
So erfreuten wir uns wohl gelaunt und nichts ahnend am vierten Gang des großen Degustations-Menüs: Chorizo mit Txakoli und Eidotter – ein klassisches Gericht aus der baskischen Heimat des Patrons.
Als der Kellner beim Abservieren dann erklärte, dass es sich um eine vegetarische Chorizo gehandelt hätte, konnte wir es kaum glauben. Wie geht so etwas?
Neugierig? Dann im Magazin weiterlesen.